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JUST LISTEN


"I like to listen. I have learned a great deal from listening carefully. Most people never listen."

(Ernest Hemingway)

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  • Alma

Der Anfall

Aktualisiert: 29. Nov. 2021

Triggerwarnung: In diesem Beitrag geht es um die Darstellung und Erzählungen von Essstörungen, insbesondere der Bulimie.Wenn es dir nicht gut geht mit dem Thema, lies diesen Beitrag nicht, oder nur in Gesellschaft.


Wie fühlt sich das an?

Ich verstehe das nicht.


Bulimie war und manchmal ist noch ein großer Teil meines Lebens. Ich knacke demnächst meine Marke von sechs Monaten Anfall-frei und die Bulimie-Gedanken habe ich nur noch sehr selten, aber manchmal tauchen sie auf und es unfassbar schwer dem nicht nachzugehen, denn das ist was mir Sicherheit gibt, dieses Gefühl was ich bei einem Anfall habe, ist nach wie vor unersetzlich. Es ist für Außenstehende ziemlich unverständlich glaube ich, deswegen jetzt mal ein kleiner Einblick.


Und dann fängt das Gedankenchaos an:

"Es schmeckt so lecker und das fühlt sich so gut an, das beruhigt irgendwie, ich will mehr davon."

"Du hast heute doch sowieso schon so viel gegessen, da ist es doch jetzt eh egal.“

"Aber wenn du jetzt einen Essanfall hast, dann hast du ja noch mehr Kalorien, als sowieso schon.“

"Nein, der Tag ist doch jetzt eh gelaufen, du hast es wieder nicht geschafft einen perfekten Tag hinzulegen, da ist es doch jetzt egal.“

"Morgen ist auch noch ein Tag, dann isst du da halt einfach weniger, dann passt das schon."

So ist die Logik ungefähr. Der treibende und erste Gedanke ist dabei, dass das Essen sich so gut anfühlt, so lecker schmeckt, so beruhigend wirkt, alles andere ist dann irgendwie egal. Eigentlich wäre es doch logisch, dass wenn man sowieso schon ein bisschen zu viel gegessen hat, dann nicht noch mehr oben drauf zu essen, oder? Aber nicht so bei der Bulimie, die findet den „unperfekten“ Tag als idealen Nährboden für ein ausgiebiges Fressgelage, weil wenn schon ein blöder Tag ist, dann auch richtig. Und jeder Tag ist ein unperfekter Tag. Früher fing das schon morgens an, da habe ich auf dem Weg zur Arbeit schon so viel gegessen wie jeder Normalo an einem ganzen Tag und von da an war dann alles andere Essen egal, dann wurde gegessen und gestopft und scheiß egal was kommt, weil ich hab es ja schon morgens „verkackt“. Total unlogisch eigentlich, vor allem weil man ja eigentlich „so wenig wie möglich“ essen will für die perfekte Traumfigur. Aber man kann ja am nächsten Tag alles wieder gut machen, indem man sich am nächsten Tag unter Kontrolle hat, denn irgendwie ist es eine Erleichterung, wenn man weiß, man muss das essen heute nicht kontrollieren und kann es für sich nutzen. Und außerdem ist das Gefühl danach so gut, nachdem man sich all seiner Sünden wieder entledigt hat. Man hat den Kampf wieder gewonnen, man ist stärker als die Verlockungen, man hat sie ausgetrickst, nur benutzt und weggeworfen, so wie es andere mit einem machen, macht man jetzt auch mit denen. Dieses Gefühl ist am besten wenn der ganze Magen wieder leer ist.Langsam ordnet sich alles wieder. Die Gedanken und Gefühle scheinen aus ihrem Strudel gelöst und legen sich langsam wieder in leichtere Bahnen. Alles was durcheinander war und Unruhe auslöste, ist nun weg. Ertränkt, erst in Magensäure , dann in Toilettenwasser getunkt und jetzt irgendwo im Abwasser.

Der Tag war hart, stressvoll, stets gelächelt, ja gesagt und getan was von mir erwartet wurde. Beim Sport dann bis zum Schmerz getrieben und ich dachte eigentlich, dass alles sich gesetzt hat für heute. Aber Pustekuchen, mein Essrythmus war den Tag über aus den Fugen und ich dachte ich würde es packen. Dann hat sich ein Schalter umgelegt, mein Negativ-Strudel hat mal wieder gewonnen, und dann... Gedanken ausgeschaltet, losgegangen,egal wie du aussiehst, jetzt darfst du das ganze kaufen, was sonst verboten ist. Heute nur wenig eingekauft,was trotzdem eine Wochenration für andere ist. Mein Magen war schon voll mit all dem Gemüse, welches ich gehofft hat, würde den Clown im Kopf genügend beschäftigen. Das spart Geld und Kalorien. Eigentlich hat es nicht einmal geschmeckt. Dann der erste Schokoriegel, der war noch lecker, aber ab dann war es nur ein Mittel zur Entspannung, Befriedigung und Stillen der Leere. Andere weinen in so einer Situation, ich esse. Nach den Schokoriegeln kurz was deftiges, ein, zwei Tüten Chips, dann kommt die Großpackung billiges Vanille-Eis und danach noch eben ein halben Liter Wasser hinterher und übers Klo gehängt. Inzwischen bin ich schon so routiniert, es ist wie der Ablauf einer Choreografie. Jetzt kommt etwas Ruhe in mich und ich kann mich besser konzentrieren, sehe alles wieder klarere. Der Hals brennt, der Magen grummelt, aber das ist ok. Das Blut fließt wieder, mein Herz schlägt, alles auf Alarm. Ich spüre wieder etwas, ich spüre mich.

Wieso passiert sowas? Inzwischen weiß ich, dass es bei mir kommt, wenn zuviel auf mich einprasselt,zuviel Aufwühlendes, zuviel von allem oder ganz einfach, wenn ich Gefühle fühle. Ich habe nie wirklich gelernt mit Gefühlen adäquat umzugehen, sie machen mir die meiste Zeit Angst und stellen für mich etwas bedrohliches da. Sie häufen sich an, ohne dass ich sie richtig verarbeiten kann. Es fühlt sich an wie ein Rührteig , der in der Rührmaschine festhängt und wo immer mehr nachgeschüttet wird, ohne dass der Teig verarbeitet werden kann. Wie ein Topf der überkocht, ein Regenfass, welches zwischendurch nicht abgelassen werden kann, und es so viel regnet, dass es überläuft. Das Essen und Kotzen bringt wieder Ruhe in die Rührschüssel. Es lässt das Regenfass leer laufen und verschließt es wieder. Es heilt wieder. Zumindest für den Moment. Weil während man denkt , dass das Regenfass wieder heil ist und wieder aufnehmen kann, kriegt es nach jedem Mal feine Risse. Und jeder weiß , dass viele Risse irgendwann zum Einbruch führen, wo die Regentonne nichts mehr aufnehmen kann, und auseinander fällt.

Dann kommt irgendwann, meist nach sehr langer Zeit, der Punkt wo man zusammenbricht, der Körper einfach mal das Licht ausknipst und hofft, dass man merkt was man da für einen Mist macht.



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