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JUST LISTEN


"I like to listen. I have learned a great deal from listening carefully. Most people never listen."

(Ernest Hemingway)

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Alma

Der Knackpunkt

Aktualisiert: 22. Feb. 2022

Triggerwarnung: In diesem Text geht es unter anderem um das Thema Essstörungen. Wenn es dir damit nicht gut geht, lies den Text bitte nicht oder nicht alleine.


Es war irgendwie auch schon geplant. Geplant, weil ich nicht mehr konnte. Naja, nicht wirklich geplant, aber es war als möglicher Ausweg in meinen Gedanken, weil ich immer mehr Angst hatte.

Ich hatte einen anstrengenden Tag vor mir. Ich war unheimlich nervös davor, nicht weil ich mich nicht freute, sondern weil ich Angst hatte, Angst vor den Gefühlen die hoch kommen könnten, ich wusste nicht, ob ich damit umgehen kann.

Der Tag an sich war eigentlich ganz gut, aber ich habe auch nur gehandelt, ich habe funktioniert, manche würden sagen ich hätte locker gelassen und einfach mal gelebt. Das dachte ich auch erst, aber dem war nicht so. Es war ein bisschen so, als ob der Tag an mir vorbeirauscht und ein Teil von mir einfach nur stumm daneben stand. Immer wenn zwischendurch mal Situation kamen die schwierig waren, habe ich die Mauer hochgezogen, das Gefühl einfach abprallen lassen, meine Schutzwand aktiviert. Sobald es langsam Richtung Tagesende ging merkte ich, wie ich ziemlich nervös wurde. Ich hatte Angst, Angst davor wieder alleine zu sein, Angst vor einem Gefühlsausbruch. Sobald ich mich weggedreht hatte und auf meinem Weg nach Hause machte, war mein "Schauspieler-Modus" zu Ende und auf die Mauer wurde ein Dach gesetzt. Das was in mir brodelte wurde in Schach gehalten und ich nach außen hin sehr ruhig und kontrolliert, wie ein Roboter, eine Maschine.

Als ich wieder bei mir Zuhause war, war ich erstmal duschen und hatte da meinen ersten kleinen Zusammenbruch, in dem ich in der Dusche dissoziierte. Ich saß da auf dem Boden der Dusche zusammengekrümmt, bisschen schief hängend und bin einfach erstmal für einen Moment ausgestiegen. Es war ein bisschen so, als ob ich kurz mein Gehirn einmal runtergefahren habe und dann einige Zeit lang der Monitor einfach nur schwarz blieb. Ich schaffte den Gehirn-Neustart und beschäftigte mich dann erstmal viel mit Aufräumen, Putzen, der Zwangsstörung. Zwischendurch saß ich manchmal minutenlang in einer Ecke auf dem Boden zusammengekauert und starrte einfach die Wand an.

Ich hätte auch dringend was essen und trinken sollen, was ich aber so lange vernachlässigte, bis ich anfing mich mit Alkohol zu betäuben. Als ich dann irgendwann langsam etwas zur Ruhe kam, machte ich mir was zu essen und trank weiter und hoffte durch den Alkohol, das Essen und einer Serie oder so mich etwas entspannen zu können. Mein Magen war voll, ich hatte nur wenig gegessen, aber sehr viel getrunken und hatte somit einen sehr vollen Magen, was bei einer Bulimie, oder zumindest bei mir, immer ein schwieriger Moment ist, da das Essen quasi von selber schon wieder hochkommt. Ich habe die letzten Monate und Jahre relativ erfolgreich solche Momente ohne Rücktransport absolviert, aber heute war anders. Es war, als ob das die Einladung war, die Einladung zum Lösen meiner aktuellen und ständigen Probleme, meiner Unruhe. Mein Hoffnungsschimmer weiter machen zu können. Ich zögerte kaum, mir war alles egal, ich wollte nur, dass der Clown im Kopf aufhört und dann fing ich an zu kotzen, absichtlich.

Ich hatte mit zunehmender Belastung in letzter Zeit wieder mehr über das kotzen nachgedacht und tapfer widerstanden, aber an dem Tag war mir alles egal, es war einfach alles zu viel. Und das Schlimme oder auch das Gute daran, es hat mal wieder funktioniert.

Ich habe es genossen. Ich habe das Gefühl danach genossen und die Erleichterung gespürt. Ich fühlte mich ruhiger, die Unruhe war weniger, ich konnte durchatmen. Ich mochte das Brennen im Mund, der Speiseröhre, den Lippen und das herrlich leere leichte Gefühl im Magen. Ich mochte es wie mir kalt wurde, schwindlig wurde und mein Magen&Darm grummelte. Ich mochte das Gefühl von Kontrolle, das Gefühl von Macht. Ich habe mich selber beruhigt, ohne andere. Ich brauche niemanden fremdes dafür, ich kann das ganz alleine. Ich habe mich betrunken, was keiner weiß, ich habe gekotzt, was keiner weiß, ich habe etwas gemacht was keiner weiß und gleichzeitig das perfekte Bild für alle anderen gehalten.

Ich habe ein Geheimnis, ich habe sie alle verarscht, an der Nase rumgeführt, Dinge gemacht die keiner von mir denkt. Ich habe meinem Körper wieder gezeigt wer hier der Herr im Haus ist, ich habe ihn bestraft für sein da-sein, dafür dass er nicht so leistet wie ich will. Er ist der ständige Feind mit dem ich leben muss und der als erstes geopfert wird,das kennt er schon. Ich habe so endlich das Gefühl wieder etwas im Griff und unter Kontrolle zu haben.

Und das schlimme daran ist, zu dem Zeitpunkt und die Tage danach ging es mir besser, viel besser. Ich hatte endlich einen klareren Kopf, mir fiel es leichter raus zu gehen, Dinge zu erledigen, ich hatte mehr Energie, konnte wieder besser denken, mich konzentrieren und sehen. Und das gefiel mir. Es gefiel mir, dass es mir endlich wieder egal ist, dass ich mir endlich wieder egal bin. Es gefiel mir, dass ich den inneren Kampf aufgegeben habe, ich leben gerne ohne dieses ständige "mit mir selber kämpfen müssen" um weiter machen zu können. Ich mag es ein Geheimnis zu haben. Ich mochte es andere an der Nase rumzuführen, keinem zu erzählen was los ist, damit sie sich dann später fragen was sie wohl falsch gemacht haben, wieso sie das nicht gesehen haben , warum ich mich ihnen nicht anvertraut habe. Ich mochte es die Leute so zu bestrafen. Dafür zu bestrafen, dass sie etwas besser haben als ich, dafür dass sie nicht alleine sind, nicht krank sind, einen Job haben, Lachen können,Wünsche erfüllen, leben können. Und dabei übersehe ich völlig den Aspekt, dass ich hier die einzige bin der ich schade.

Ich denke ich bestrafe andere Leute, dabei bestrafe ich mich selber. Denn bei mir ist das nicht so schlimm, da ist das ok, in Ordnung, ich kann das ab, ich mag den Schmerz, die Strafen. Nein, mag ich nicht, es ist mir nur einfach so vertraut, dass es mir nicht so viel ausmacht. Das sind Zustände die ich kenne, in denen ich mich auskenne und nicht verloren bin, in denen ich mich wohler fühle als in dem Unbekannten. Und es macht mich traurig, dass es mich (noch) nicht traurig macht.

Es gibt inzwischen zum Glück einen sehr großen Teil in mir, der weiß wie verkehrt das ist was ich da mache, wie verkehrt es ist zu schweigen, nicht drüber zu reden, mich niemandem anzuvertrauen, niemanden zur Hilfe zu holen. Ich weiß das, aber ich habe manchmal nicht die Kraft, die Sicherheit dazu. Ich konnte mich immer nur auf mich selber verlassen, das habe ich mir auf verquere Weise gerade mal wieder bestätigt, und so mich wieder verschlossen und entfernt von allen anderen. Ich bin zurück in meinem Schneckenhaus im Schneckenhaus des Schneckenhauses . Da können mir noch so viele Leute erzählen wie wichtig es ist, dass ich mir helfen lasse und rede, das wurde gerade alles abgeblockt, weil es reicht, ich konnte nicht mehr. Ich konnte mich gerade nicht mehr Aufrecht halten, nicht mehr den Kopf oben halten und weiter machen.

Einige sagen oder denken jetzt bestimmt, dass Rückfälle dazu gehören, dass das halt mal passiert, total normal ist etc. Ja, das stimmt auch, und es ist ja bei weitem nicht mein erster Rückfall, aber dieser hier war anders. Bei den anderen Rückfällen habe ich nicht danach geschwiegen, habe am nächsten Tag (oder kurze Zeit später) wieder vernünftig weitergemacht, bin offen damit umgegangen. Hier habe ich nachgegeben, weil ich keine Lust und keine Kraft mehr hatte stark zu sein. Ich wollte da nicht mehr kämpfen.

Ich konnte weitermachen ja, aber gerade nur mit meiner alten Freundin Essstörung an der Seite. Zumindest für den Moment. Es blieb auch nicht bei einem Rückfall, es wurde schlimmer, schlimmer als je zuvor.

Ich hatte allen um mich herum erzählt, dass es gerade wieder ganz gut läuft und ich ganz gut drauf bin, denn so fühlte ich mich auch teilweise. Ich konnte da gerade nicht drüber reden. Falls mich jemand drauf ansprechen sollte, hatte ich Angst zusammen zu brechen. Die Verletzung war gerade zu tief, ich musste aufpassen, dass hier nichts bricht, reißt und ich nicht verblute. Ich weiß, dass der Zustand nicht lange anhält, dafür bin ich zu weit im Heilungsprozess und verstehe die Krankheit(en) inzwischen zu gut. Ich hatte damit gerechnet, dass so etwas bald passieren würde, aber gewünscht war es trotzdem nicht. Ich wartete seit Monaten auf einen Therapieplatz, eine Klinikplatz, auf einen sicheren Platz um mich mal wieder mit den Dämonen an den Tisch zu setzen und mich nicht mehr vor ihn zu verstecken. Inzwischen habe ich den gefunden und habe mehr Sicherheit, Hilfe und Unterstützung und es geht wieder mehr bergauf.

Die Bulimie gibt mir so wahnsinnig viel Kraft. Es ist für mich wie ein Endorphin Ausstoß, ein High, wie der Kick einer Drogensüchtigen, wenn die Droge endlich wieder durch die Blutbahn strömt. Es ist wie ein entsperren einer Schranke im Kopf, ich kann endlich das rauslassen was ich will und was raus muss. All die Wut, die Trauer, das Gefühl kann durch dieses Ventil endlich mal raus, denn die Bulimie hat mir dafür den Weg geöffnet, die Erlaubnis gegeben. Ich kann für einen Moment einfach mal spüren, meinen Körper das machen lassen was die Psyche will, all das angestaute Stumm raus schreien, zur Musik tanzen und die Worte, die Melodie, die Kraft spüren. Und das fühlt sich alles so unfassbar gut an. Und irgendwie kriege ich das (noch) nur über die Bulimie.






















































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