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JUST LISTEN


"I like to listen. I have learned a great deal from listening carefully. Most people never listen."

(Ernest Hemingway)

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  • Alma

Zwang

Aktualisiert: 20. Okt. 2021

"Lass es doch einfach."

"Mach es nicht."

"Warum machst du das."

" Hör auf."

"Das ist so unlogisch, was du da machst."


Das sind tendenziell eher Dinge die ich zu mir selber sage, als andere zu mir, denn ich rede nicht wirklich über den Zwang. Er nervt mich abgrundtief, hat aber seinen Sinn und Zweck und auch seine Daseinsberechtigung.

Ich habe mal vor einigen Jahren einen Bericht im Fernsehen gesehen über eine Prominente mit einer Zwangsstörung und dachte nur, wie gestört und falsch das ist und dass mir sowas definitiv niemals passieren wird. Tja, ich kann nur sagen ich lag falsch, ziemlich falsch.

Erstmal ein paar allgemeine Informationen: Von einer Zwangsstörung oder eine Zwangserkrankung spricht man, wenn bestimmte und individuelle Rituale und Verhaltensweisen zwanghaft ausgeführt werden müssen und diese zu einer Belastung des Betroffenen führen.Obwohl man vom Verstand her weiß, dass die Handlungen und Gedanken nicht ganz stimmen können, müssen sie ausgeführt werden und werden zu einer immer größer werdenden Belastung. Der innere Druck und die Anspannung steigen in ein unermessliches und ein kaum auszuhaltendes Gefühl, was anscheinend nur durch die Ausführen der Zwangshandlung ausgeglichen werden kann und so wieder mehr Ruhe gefunden wird. Dabei gibt es verschiedenen Formen, einige haben einen Putzzwang, einen Waschzwang, andere einen Zählzwang oder einen Sammelzwang. Da gibt es viele verschiedenen Ausprägungen, sowie auch Mischformen. Eine gewisse Zwanghaftigkeit steckt in vielen von uns, aber es ist nicht gleich eine Zwangsstörung, wenn man beispielsweise sehr ordentlich ist oder gewisse festgelegte Morgenrituale hat. Es kommt, wie bei fast allem, auch hier auf die Ausprägung und den Kontext an.

Solche kleinen "Ticks", wie bspw. morgens die Dinge in einer festgelegten Reihenfolge zu machen, können einem im Alltag helfen, um ein kurzfristiges positives Gefühl zu geben. Eine Zwangsstörung gibt einem auch ein positives Gefühl, aber es wird pathologisch positiv. Durch die Zwangshandlung werden andere Dinge wie Stress oder Gefühle kompensiert. Es ist eine destruktive Verhaltensweise um z.B. wieder eine gewisse Form von Kontrolle zu bekommen, die sonst nicht anders herstellbar ist.Gleichzeitig ist es eine Ablenkung, eine Beschäftigung, damit man sich nicht mit anderen Dingen auseinander setzen muss. Ich möchte hier betonen, dass es die unterschiedlichsten Ausprägungen, Symptome, Formen und

Ursachen für eine Zwangsstörung gibt, ich kann hier nur von meinen Erfahrungen erzählen.

Mein Zwang hat sich so richtig entwickelt vor ca. 4 Jahren. Je schwächer die Bulimie wurde, desto stärker wurde der Zwang. Ich weiß noch die ersten Momente, wo ich es ansatzweise merkte. Ich hatte plötzlich die Idee in meinem Kopf, dass es doch viel besser und hygienischer ist meine Klamotten jeden Tag zu waschen und nichts mehr zweimal zu tragen und so machte ich es ab da , denn das fühlte sich stimmig an. Einige Zeit später sprach mich eine Freundin darauf an und sagte,dass ich doch einen Zwang hätte. Ich tat das alles ab und schenkte dem keine Beachtung, denn in meinem Kopf war alles gut, so kam ich gut klar, ich sah kein Problem in dem ganzen, wirklich nicht. Meine Freundin sprach mich in der darauffolgenden Zeit öfters darauf an, aber ich sah wirklich das Problem nicht, denn mir schien es endlich besser zu gehen und ich schien endlich alles wieder mehr auf die Reihe zu kriegen.

Ich fing eine Ausbildung an, arbeitete viel, war ständig beschäftigt, hatte Freunde und Freude, hatte gute Noten, blieb stabil in meinem Essverhalten, alles schien zu laufen. Und es lief auch alles wirklich ganz gut, ich hatte so viele tolle Momente in der Zeit,entwickelte mich weiter und ich fühlte mich endlich ein bisschen "normaler" und freier, was das ist, was ich immer wollte.

Jetzt, im Nachhinein, weiß ich, dass das alles nur möglich war, weil ich still und heimlich meinen Zwang in der Wohnung ausführte und dieser auch immer stärker wurde. Mein Zwangsverhalten lässt sich grob zusammenfassen in einen Putzzwang, und ist zu 95% nur auf meine Wohnung beschränkt. Bei einem Putz/Waschzwang ist es oft so, dass Betroffene Angst vor potentiellen Erregern, Keimen, Krankheiten haben und deswegen alles gereinigt werden muss. Das war bei mir eigentlich nie der Fall, bei mir ist es eher so, dass alles was von draußen reinkommt ist "beschmutzt" und muss gereinigt werden, denn ich weiß ja nicht, wo und mit was das jeweilige schon in Berührung kam. Es ist eine Art der Kontrollausübung für einen gewissen Raum zu haben, wo mir doch alles so unkontrollierbar erscheint. Ich entwickelte unbewusst immer mehr und ausgeprägtere Verhaltensweisen und der Zwang nahm immer mehr Zeit und Platz in meinem Leben ein. Langsam aber stetig verlor ich an Kraft und merkte, dass der Zwang anfängt mich wirklich zu stören und zu belasten. Ich musste mir z.B. immer mehr Lügenkonstrukte ausdenken, dass niemand mich besuchen kam, denn jemand "Beschmutztes" in die Wohnung zu lassen war absolut nicht möglich. Ich kaufte immer mehr Desinfektionsmittel, wusch mich immer mehr, um die unkontrollierte Beschmutzung loszuwerden. Dann fing es auch irgendwann wieder an, dass mein Essverhalten sich verschlechterte,und ich daraufhin wieder eine ambulante Therapie begann. Ich stabilisierte mein Essverhalten wieder,sprach erstmals über mein zwanghaftes Verhalten und lernte den Zwang in seinen Aufgaben und Tätigkeiten kennen, ebenso wie die Hintergründe und dessen Zweck. Ich lernte, dass er einen ähnlichen Zweck wie die Bulimie erfüllte und ich so wieder verhinderte mich mit Gefühlen und Gedanken auseinander setzen zu müssen.

Ich fing dann nach meiner Ausbildung einen Vollzeitjob an und wechselte außerdem die Therapeutin, da meine derzeitige in den Mutterschutz ging. Wir machten weiter in der Zwangsthematik und wollten mit der Exposition anfangen, die als hilfreich gilt, um den Zwang zu bekämpfen. Unter Exposition versteht man das bewusste Auseinandersetzen mit der jeweiligen "Gefahr". Das würde hier beispielsweise heißen, dass meine Therapeutin zu mir nach Hause kommt, dadurch Sachen "beschmutzt" und ich diese aber nicht reinige und schaue was passiert, wenn ich den Zwangshandlungen nicht nachgehe. So setzte man sich mit der jeweiligen Gefahr und der Angst auseinander und beginnt sie zu überwinden und zu lernen, dass die eventuellen katastrophalen Befürchtungen nicht eintreten. Ich sagte ihr, dass wir das gerne machen können, aber ich sobald sie weg sei, alles putzen würde. Da das ja nicht der Sinn und Zweck des ganzen ist, guckten wir was da noch im Weg stand.

Ich war zu dem Zeitpunkt schon komplett überarbeitet und überlastet und kündigte einige Zeit später meinen Job, um mich auch einfach mehr auf meine Gesundheit konzentrieren zu können. Wir fanden mit der Zeit heraus, dass ich den Zwang nicht gehen lassen kann, weil ich rasende Angst vor dem habe, was dann passierten könnte und das ich die Gedanken auch von der Bulimie kenne. In meiner Vorstellung bricht dann alles zusammen und ich auseinander und das musste ich um jeden Preis verhindern, denn ich wusste, dass ich das nicht aushalten kann. Jetzt kann man behaupten, dass ich diesen Zustand einfach aushalten und durchstehen müsste, aber das war und ist einfach noch nicht möglich. Ich habe noch nicht die nötige Kraft und Sicherheit um meine "Hilfsstrategien" einfach gehen zu lassen. Ich würde es nur zu gerne, aber es funktioniert schlichtweg noch nicht.

Das war dann die Zeit wo vor allem ich mich fragte, was mir fehlt um endlich gesund zu werden, denn anscheinend war ich ja wieder "abgerutscht" in krankhaftes Verhalten. Dann wurde immer mehr klar, dass es in meiner Vergangenheit gewisse unbearbeitete und unschöne Dinge gibt, die mich geprägt haben und in meinem Kopf rum wabern, wie kleine Monster, die mich nicht in Ruhe leben lassen. Mir war sofort klar, dass die der treibende Motor für meine ganzen destruktiven Verhaltensweisen sind und ich mich diesen widmen muss, um irgendwann gesünder und freier zu leben. Dafür brauche ich aber mehr Sicherheit, Stabilität und Ruhe. Mir ging es zunehmend immer schlechter, mein Zwang und meine Depressionen wurde immer stärker, ich entwickelte Ängste und ambulant kamen wir einfach nicht weiter. Da entschied ich mich wieder in eine Klinik zu gehen und endlich den Kampf gegen die kleinen Monster anzufangen und mich auch wieder aus dem jetzigen Tief zu holen.

Seit ich aus der Klinik raus bin, kann ich erste Fortschritte sehen was den Zwang, und auch anderes natürlich, betrifft. Er ist nach wie vor ein großer Teil meines Alltags, aber er ist vergleichsweise viel weniger geworden und ich habe auch wieder etwas mehr Kontrolle über ihn, als er über mich. Das ist unheimlich befreiend und jetzt muss ich nur aufpassen , dass ich weiter mache und ihn immer kleiner werden lasse, denn sonst raubt er mir definitiv zu viel Zeit und Lebensfreude.


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