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JUST LISTEN


"I like to listen. I have learned a great deal from listening carefully. Most people never listen."

(Ernest Hemingway)

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  • Alma

Zwanghaft

Aktualisiert: 25. März 2022

Triggerwarnung: In dem folgenden Beitrag geht es um Zwangsstörungen und negativen Gedanken. Wenn es dir damit nicht gut geht, lese den Beitrag bitte nicht, oder nicht alleine.


Die Socken landen wieder auf dem riesengroßem Wäschehaufen. Dabei habe ich sie erst vor zwei Stunden angezogen. Sie haben aber die eine Ecke der Tür berührt, von der ich nicht genau weiß, wie "rein" diese ist. Die Socken haben etwas potentielles "verunreinigtes" berührt und müssen wieder gereinigt werden. Jetzt bloß aufpassen, denn wenn ich jetzt mit der Socke noch etwas anderes berühre, muss ich das auch wieder reinigen. Danach wieder Hände waschen, trocknen und aufpassen, dass ich die richtige Ecke vom Handtuch erwische. Danach kommt das Handtuch auch auf den Wäschehaufen, denn ich habe das Gefühl das Handtuch ist verunreinigt, so kann ich das nicht mehr nutzen, auch wenn es erst seit gestern hängt. Nach dem Hände abtrocknen darf ich nicht vergessen sie noch ordentlich zu desinfizieren, vor allem unter den Nägeln, einfach an jeder Ecke der Haut. Ich spüre es sofort, wenn ich eine vergessen habe, eine Stelle eventuell noch nicht ganz steril sein könnte. Auch wenn ich genau weiß, dass es nicht schlimm ist und nicht wirklich schmutzig, aber ich muss das tun.

Eine Zwangsstörung ist das Vorhandensein und/oder Ausführen von zwanghaft, meist unlogischen, auftretenden Gedanken. Diese zwanghaften Gedanken dienen einer Form von Sicherheits-Erwerben und Kontrollausübung und bei dem nicht-ausführen der Gedanken, werden katastrophale Folgen erwartet. Große Unruhe bis Panik entsteht in einem und diese kann nur mit der Ausführung von den zwanghaften Gedanken geregelt werden. Dem Betroffenen ist meist bewusst, dass die Gedanken Quatsch sind und das Ordnen der Bücher nach Anfangsbuchstaben oder das dreifache Putzen des Handys nicht notwendig ist, aber daher kommt das Wort "Zwang", man ist gezwungen dazu, gegen seinen eigenen Verstand und seine eigene Logik zu handeln und dem nicht zu folgen, hätte schreckliche Folgen. Die Verweigerung des Zwangs hat gedanklich unverhältnismäßige Folgen von Panik, zu Angst, über Unfall oder Kometeneinschlag, bis zum eigenen Tod oder dem Sterben Angehöriger. Dabei kann die Zwangsstörung bei jedem anders aussehen, einige putzen, andere ordnen, andere müssen gewisse Handlungen immer in der gleichen Weise machen, wieder andere müssen jede dritte Treppenstufe überspringen, da gibt es sehr viele Formen.

Die Zwangsstörung ist eine absolute Qual, zumindest für mich. Anfangs noch hilfreich erscheinend, hindert sie mich nun immens am Leben. Sie schränkt mich ein, behindert und belastet mich jeden einzelnen Tag. Hat sie sich über einige Jahre angeschlichen, ist sie nun nur noch schwer wegzukriegen. Den Höhepunkt der Erkrankung hatte ich glaube ich vor ca. 1 1/2 Jahren erreicht. Da musste ich unter anderem meine Einkäufe zweimal in einer bestimmten Art und Weise desinfizieren und waschen, bevor ich sich verstauen konnte. Es reichte nicht aus, dass ich erst wirklich in die Wohnung konnte, wenn ich geduscht und Haare gewaschen hatte, sondern ich musste vor dem Duschen meinen gesamten Körper desinfizieren und an einigen Stellen danach auch wieder, nur um sicher zu gehen. Dann musste ich ganz vorsichtig den von mir "beschmutzen" Weg auf dem Weg ins Bad reinigen und bloß aufpassen, dass ich selber nicht nochmal etwas beschmutztes berühre. Bis ich nach einem Einkauf zur Ruhe kommen konnte, dauerte es 3-4, manchmal auch 5 Stunden. Ich musste häufig zwischendrin Pausen machen, weil meine Kräfte mich verließen und ich kurz durchatmen musste. In der Wohnung konnte ich nur leben, wenn ich diesen zwanghaften Maßnahmen folgte, die einzige Alternative war draußen zu schlafen.

Die Zwangsstörung hat mich eingesperrt, ich sitze hinter Gittern, abgeschottet von der Realität, in einem kleinen Raum der nur mir gehört und mir alleine. Bewacht wird der Raum von der Zwangsstörung. Jede Mauer wird konstant überwacht, denn sie könnte jederzeit angegriffen werden. So bin ich geschützt vor "gefährlichen" Dingen, Dingen die ich nicht kenne und die mich überfordern könnten. Für diese Sicherheit muss ich aber bezahlen, bezahlen mit dem Ausführen der Sachen, die die fette Raupe namens Zwangsstörung sich hinterlistig überlegt hat.

Inzwischen hat sich die Zwangsstörung bei mir sehr gebessert und ich habe jetzt auch ein großes Stück Kontrolle über sie, anstatt sie komplett über mich. Ich habe in der Therapie die Zwangsstörung kennen gelernt, kann die Gedanken als krankhaft wahrnehmen und immer öfter auch gegen angehen und die Gedanken nicht ausführen.

Ich kann nach wie vor niemanden in meine Wohnung lassen, kann sie nicht betreten ohne frische Socken anzuziehen oder meinen Fußspuren sofort hinterher zu wischen. Als erstes muss ich noch immer all meine Klamotten die ich draußen anhatte loswerden, die müssen gewaschen werden, ebenso wie meine Haare, die waren immerhin mit der "dreckigen" Luft draußen in Kontakt. Danach kann ich anfangen die verunreinigten Einkäufe oder Gegenstände zu säubern. Ich kann nur die Sachen nutzen die diese Art der Schleuse, diese Waschanlage, passiert haben. Es ist ein bisschen so, als ob außerhalb von meiner Wohnung alles verseucht wäre und nur in meiner Wohnung etwas frische Luft herrscht, die gut beschützt werden muss. Wenn ich etwas verunreinigtes berühre, muss ich meine Körperstelle (meist Hände) reinigen, bevor ich etwas neues machen kann. In der Wohnung gibt es auch Bereiche die "unrein" sind und die das auch bleiben dürfen, ich muss nur halt wie ein Luchs darauf aufpassen, sie nicht einfach so zu berühren oder halt wieder alles zu reinigen danach. Ich habe das große/kleine Glück, dass die Zwangsstörung fast nur auf diese eine Wohnung beschränkt ist. Draußen habe ich auch immer mal einige Macken, aber in viel, viel geringerem Umfang und dort kann ich auch viel besser da gegen angehen und die Zwangsstörung ignorieren.

Die Zwangsstörung ist eine riesen große Belastung und frisst Unmengen an Geld für all die Reinigungsmittel. Am Anfang der Corona Zeit war es besonders schwer für mich, weil plötzlich überall die Desinfektionsmittel ausverkauft waren und ich echt in Nöten geriet. Ich habe mir all mögliche Tricks angeeignet um möglichst wenig Putzmittel zu verbrauchen, habe gewisse Konzepte entwickelt, wie ich mich am sichersten in der Wohnung fortbewegen konnte. Dieses Gefängnis hat mich richtig fertig gemacht -körperlich und psychisch. Es kostet so viel Anstrengung gegen seine eigenen Verstand anzugehen und so ein geheimes "Zweitleben" aufrecht zu erhalten, ohne dass jemand anderes es merkt. Denn würde jemand dahinter kommen, würde er einen für verrückt erklären. Ich selber finde es furchtbar verrückt so zu handeln, aber habe verstanden wieso das passiert. Es ist wieder das große Thema Kontrolle und Gefühle. Durch das Ausführen der Zwangshandlungen habe ich "gefühlte Kontrolle", weil wenn ich kontrollieren kann wie oder wer in meinen Bereich kommt, ich kontrolliere wie etwas auszusehen, zu stehen, da sein zu hat, habe ich ja Kontrolle in einem Teil meines Leben. Es gibt mir das Gefühl, dass ich handeln kann, ein Gefühl, was ich sonst nicht kenne. Außerdem kann ich durch die Zwangshandlungen Gefühle verarbeiten. Es klingt vielleicht komisch, aber durch die Gedanken und Handlungen habe ich eine Ablenkung von mir selber, meinem Spüren, meinen Gefühlen. Diese werden dadurch quasi abgebaut.War ich am Anfang noch wütend, bin ich danach eher gleichgültig,erschöpft und entspannter. Ich kann meine Gedanken ordnen, kann das Chaos in meinem Kopf beruhigen, all die Männchen im Kopf können wieder zurück an ihren ursprünglichen Ort und sobald das geschehen ist, kann ich auch weiter machen und weiter funktionieren.

Inzwischen merke ich es oft , dass ich unruhig bin, wenn ich anfange zu putzen oder aufzuräumen. Oder ich putze und merke zwischendrin was eigentlich los ist, dass ich zum Beispiel eigentlich gerade sauer auf jemanden bin und ich durch das Putzen versuche das zu verarbeiten. Ich glaube einige Leute kennen das auch, nur meist in einem anderen Ausmaß, denn "Ordnung im Äußeren, schafft Ordnung im Inneren".


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